Grippe: Neue Verfahren für Impfstoffe - mit Biontech-Chef Uğur Şahin (ARD I 19.01.2019)

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Winterzeit ist Grippezeit. Und jedes Jahr das Bangen, ob die Grippewelle wieder heftig zuschlägt. So wie im Winter 2017/18: Neun Millionen Menschen mussten in Deutschland zum Arzt. Auch geimpfte Menschen erkrankten. Das Gesundheitssystem geriet an sein Limit. Wie konnte das passieren? War der Impfstoff nicht gut genug?

WHO entscheidet über Grippeimpfstoff

Welcher Impfstoff hergestellt wird, entscheidet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Grundlage der Entscheidung sind Daten, die in einem globalen Netz weltweit erhoben werden. 144 nationale Zentren sammeln aktuell zirkulierende Grippeviren. Von Millionen Patienten schicken sie Proben und Analysen an sechs Instituten, die weiter forschen. Unter welchen Grippeviren leiden die Patienten? Wie stark verändern sich diese und vor allem wo, denn die Viren wandern rund um die Welt. Alle Ergebnisse gehen dann nach Genf in die WHO-Zentrale, um den bestmöglichen Impfstoff für die nächste Saison festzulegen. Auf der Nordhalbkugel ist das im März. Aber warum hat der Impfstoff in der letzten Saison versagt?

Grippeimpfung kann nie perfekt sein

Zunächst die Grundlagen: Durch die Impfung bildet das Immunsystem Antikörper, die das Virus unschädlich machen. Das Problem: Im Laufe der Zeit kann das Virus seine Oberfläche verändern. Und dafür hat es viel Zeit – bis zu 6 Monate. Denn so lange dauert es, den Impfstoff herzustellen. Die Antikörper, die durch die Impfung gebildet werden, passen dann teilweise nicht mehr. Der Impfschutz ist lückenhaft.

Grippesaison 2017/2018: 3-fach-Impfstoff nicht ausreichend

In der Grippesaison 2017/2018 war allerdings nicht die Mutation des Erregers das Problem. Es wurden zwei verschiedene Impfstoffe hergestellt. Ein 3-fach-Impfstoff mit 3 und ein 4-fach-Impfstoff mit 4 Virenstämmen. In Deutschland kam überwiegend der günstigere 3-fach Impfstoff zum Einsatz, und der wirkte gegen den Haupterreger nicht. In diesem Fall war also nicht die Mutation des Erregers das Problem. Den wirksamen Impfstoff hätte es gegeben. Deshalb wird in diesem Winter in Deutschland nur noch der 4-fach-Impfstoff gespritzt.

Impfstoffherstellung dauert lange

Der meiste Grippeimpfstoff wird weltweit mit Hühnereiern hergestellt. In sterile Eier wird Saatviruslösung injiziert. Durch Bebrüten werden die Viren vermehrt. Dann werden die Viren abgesaugt, mit Hitze oder Chemikalien deaktiviert und weiter zu Impfstoff verarbeitet. Das dauert etwa sechs Monate. Um den Impfstoff treffsicherer zu machen, müsste ein schnelleres Verfahren her.

Neue Verfahren für Grippeimpfstoffe

Genau daran arbeiten Forscher am Max-Planck-Institut in Magdeburg. Sie haben ein ganz neues Verfahren mit Zellkulturen entwickelt. In Nährlösungen wachsen Zellen, in denen sich Grippeerreger schnell und in großer Anzahl vermehren können. Ein Prozess, der nur wenige Wochen dauert. Zukünftig wollen die Forscher die Viren in großen Bioreaktoren vermehren, um auf Pandemien schneller reagieren zu können. Allerdings ist das Verfahren noch nicht zugelassen. Bis es auf den Markt kommt dauert es voraussichtlich noch fünf bis sechs Jahre.

Der Körper produziert das Grippe-Gegenmittel selbst

Es gibt aber auch noch andere Ansätze für die schnellere Impfstoffproduktion: zum Beispiel den der Firma BionNTech in Mainz. Dort setzen die Forscher darauf, dass der menschliche Körper das Gegenmittel selbst produziert. Ihr neuartiger Impfstoff basiert auf mRNA. Das ist ein natürliches Molekül, das in jeder Körperzelle vorkommt, und das Körperzellen dafür nutzen, um Proteine herzustellen. Die Forscher schneiden ein ganz bestimmtes Stück vom Oberflächenprotein des Virus heraus. Daraus gewinnen sie dessen Erbinformation. Die mRNA, also das Botenmolekül, macht davon exakte Kopien. Die werden als Impfstoff direkt in den Muskel gespritzt. Dort regen sie die Zellen dazu an, Virusproteine selbst herzustellen. Diese treffen auf die Immunzellen und ein Impfschutz wird ausgelöst.

Mit dieser Technologie könnte ein Impfstoff innerhalb von zwei bis vier Wochen hergestellt werden. Derzeit wird der neue Impfstoff in klinischen Studien am Menschen getestet. Die Wissenschaftler hoffen ebenfalls auf eine Zulassung in fünf bis sechs Jahren. Auch dieses Verfahren wäre ein echter Durchbruch im Kampf gegen die Zeit. Welche dieser Neuentwicklungen am Ende die Nase vorne haben wird, muss sich noch zeigen, wenn alle Studien abgeschlossen sind.
(Text: Das Erste)

ARD I [W] wie Wissen I 19.01.2019

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