Touristisches Spiessrutenlaufen ins Heilige Land
Nein, Spiessrutenlaufen ist keine verschrobene neue olympische Disziplin, doch es bedarf eiserner strukturierter Disziplin, um sich in der weltweit abklingenden Covid-Welle einer Reise nach dem faszinierenden Touristenziel Israel zu stellen. Nicht jeder wird die erforderlichen Voraussetzungen nach Tests hüben und drüben, nach 48-stündigem Ausharren in einem Quarantäne-Hotel usw. usf. erfüllen oder finanziell stemmen wollen. Bei einer familiären Reisegruppe von Eltern mit vier Kindern geht das kostenmässig ganz schön ins Tuch. Seit 23. Mai erlaubt Israel - eine Traumdestination für Geschichtsinteressierte und spirituell Suchende - geführten Gruppen das Land wieder zu betreten. Wenn die Lockerungen im Reiseverkehr weiterhin so bedächtig langsam erfolgen, dürften noch Jahre verstreichen, bis man sich an den heiligen Stätten gegenseitig wohlig auf den Füssen steht oder eine Stunde in der Schlange wartet, um mit dem Funiculaire (Standseilbahn) auf den Berg Massada am Toten Meer gehievt zu werden. Regula Alon, unsere aus der Schweiz stammende Interviewpartnerin, ist Reiseführerin aus Passion, seit über 40 Jahren in Israel zu Hause. Zum Glück ist sie wirtschaftlich versorgt, da ihr Mann einer ordentlich einträglichen Arbeit nachgeht. Doch längst nicht alle der hoch ausgebildeten Reiseführer im Land - unter ihnen über 100 deutschsprachige - kommen über die Runden. Wie denn auch? Die 4,55 Mio. Touristen des Jahres 2019 (mit einem Umsatzvolumen von 5,9 Mrd. €) sackten zum Höhepunkt der Pandemie 2020 auf vielleicht 100'000 Personen ab. Die von der Regierung gesprochene Kurzarbeit läuft aus, und ohne Entschädigungen sowie ins Land strömende Touristen verkümmert kostbares Fachwissen zu einem bloss theoretisch abrufbaren Rinnsal. Nun gibt es Naturliebhaber, die finden, dass weniger mehr ist, doch der romantische Aspekt schrumpft: massiv ausgebaute Hotelanlagen, aktuell ungenutzte Infrastrukturen et cetera verkommen, das Personal schaut sich anderweitig um, die drei israelischen Fluggesellschaften El Al, IsraAir sowie Arkia verharren in der Warteschlaufe, der 2019 eingeweihte zweite internationale Flughafen Ramon nördlich von Eilat schlummert vor sich hin. Kommt hinzu, dass die militärischen Störmanöver, mal Terror, mal Raketenkrieg, mal massive Unrast im Inland, mal bloss Kriegsdrohungen aus dem Libanon oder dem Gazastreifen, auch nicht unbedingt die Lust auf einen ohnehin nicht ganz billigen Aufenthalt im Heiligen Land fördern. Israels Rohstoff an Geschichtsträchtigkeit, Religionswiege, kulturellem Amalgam, landschaftlichen Reisen (bergig, wüstenhaft, drei Meere, ein historisch trefflich geschwängerter See namens Genezareth, moderne Urbanität, spannende Architektur (Bauhaus!) oberhalb und unterhalb der archäologisch durchwühlten Geschichtswelt, distanzmässige Überschaubarkeit) ist so kostbar, dass man vielleicht dereinst, wenn das touristische Rad wieder in Schwung kommt, eine qualitative Bremse einbauen muss, um nicht zu einer Halligalli-Domäne zu mutieren. Ohnehin hat sich Tel Aviv seit Längerem zur hedonistischen "Stadt ohne Schlaf" gemausert. Damit es demnächst wieder bergauf geht, müssten hingegen die Hürden zur Einreise massiv gesenkt werden. Vielleicht bedarf es justament mehr als eines Quäntchens Risikobereitschaft, um die Zutrittsregeln von Reisenden im Rahmen des Zulässigen abzuändern. Doch Israels Bürokratie steht sich selber im Wege. Ob der Verstand deren Betonwand in absehbarer Zeit zu durchbrechen vermag?
© (2021) Pressebüro Infogold
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