Umdenken in der "Elite" der US-Politik? | Von Wolfgang Effenberger

1 year ago
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Den vollständigen Standpunkte-Text (inkl. ggf. Quellenhinweisen und Links) finden Sie hier: https://apolut.net/umdenken-in-der-elite-der-us-politik-von-wolfgang-effenberger
Ein aufschlussreicher Artikel in Foreign Affairs
Ein Kommentar von Wolfgang Effenberger.
Die US-Zeitschrift "Foreign Affairs" ist nicht gerade für eine kritische Diskussion amerikanischer Außenpolitik bekannt. In der Januar-/Februar 2023-Ausgabe der Hauspostille des US-Council on Foreign Relations erschienen denn auch wie erwartet kriegstreiberische Artikel vom Neokonservativen Robert Kagan, vom ehemaligen US-Botschafter in Moskau, Michael Anthony McFaul, und von anderen Hardlinern. Erstaunlicherweise konnte jedoch in der Mai-/Juni 2023-Ausgabe nun der frühere britische Politiker David Wright Miliband – er war von 2007 bis 2010 Außenminister des Vereinigten Königreichs und ist seit 2013 Präsident des "International Rescue Committee" mit Sitz in New York - den lesenswerten Artikel "Die Welt jenseits der Ukraine - Das Überleben des Westens und die Forderungen des Rests"(1) veröffentlichen.
Am Anfang seines Artikels zitiert Miliband die Aussage "Die Ukraine hat die Welt geeint" des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij in seiner Rede zum ersten Jahrestag des Beginns des Krieges mit Russland und stellt folgerichtig fest:
„Der Krieg hat zwar den Westen geeint, aber er hat die Welt gespalten. Und diese Kluft wird sich nur vertiefen, wenn die westlichen Länder die Ursachen nicht beseitigen“;
er gibt dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron recht, der auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023 sagte:
"Ich bin erstaunt, wie sehr wir das Vertrauen des globalen Südens verloren haben."(2)
Für Miliband geht die Kluft zwischen dem Westen und dem Rest der Welt deutlich über die Frage von Recht und Unrecht im Ukraine-Krieg hinaus. Sie sei vielmehr „das Ergebnis einer tiefen Frustration - in Wahrheit Angst - über das vom Westen geführte Missmanagement der Globalisierung seit dem Ende des Kalten Krieges. Aus dieser Perspektive wird die konzertierte westliche Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine, bei der der Westen gegen seine eigenen Regeln verstößt bzw. bei der er im Hinblick auf die Bewältigung globaler Probleme auffällig untätig war, in ein grelles Licht gerückt… Die Kluft zwischen den Perspektiven ist gefährlich für eine Welt, die mit enormen globalen Risiken konfrontiert ist. Und sie bedroht die Erneuerung einer auf Regeln basierenden Ordnung, die ein neues, multipolares Gleichgewicht der Kräfte in der Welt widerspiegelt.“
Leider kommt im Text wiederholt die Forderung nach einer "auf Regeln basierenden Ordnung" vor. Dieser Terminus wird außerhalb der "westlichen Wertegemeinschaft" vehement abgelehnt. Warum ist das so?
Regelbasierte Ordnung
Nach den beiden Weltkriegen und dem Kalten Krieg sind die Vereinigten Staaten von Amerika zum mächtigsten Land der Welt aufgestiegen und haben sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts immer rücksichtsloser in die inneren Angelegenheiten anderer Länder eingemischt. Deutlich wurde dieses Vorgehen beim völkerrechtswidrigen Angriff auf Rest-Jugoslawien im März 1999 (ohne UN-Mandat). Kurzerhand wurde bereits in den ersten Kriegswochen, im April 1999 beim fünfzigjährigen Bestandsjubiläum der NATO in Washington, ein neues Konzept verabschiedet: die NATO-Strategie MC 400/2, die keine Verankerung im Völkerrecht und auch keine Zustimmung vom UNO-Sicherheitsrat hat. Die politisch brisanteste Änderung bestand darin, dass sich die USA und Großbritannien mit ihrer Forderung durchsetzten, NATO-Militärinterventionen auch ohne UN- Mandat durchzuführen.(3) Eine für die USA und Großbritannien folgerichtige Entscheidung, die seit dem 24. März 1999 auch konsequent zur Anwendung kommt. Seither sind UN und Völkerrecht für die USA obsolet. Im Gefolge des Krieges gegen Jugoslawien entwickelten die USA ein hegemoniales Drehbuch, um "Farbrevolutionen" zu inszenieren, regionale Streitigkeiten anzuzetteln und sogar direkt Kriege unter dem Deckmantel der Förderung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechten zu beginnen.(4) Die Vereinigten Staaten klammern sich an die Mentalität des Kalten Krieges, haben die Blockpolitik verschärft und Konflikte sowie Konfrontationen geschürt. Sie haben das Konzept der "Nationalen Sicherheit" extensiv ausgelegt, Exportkontrollen missbraucht und einseitige Sanktionen gegen andere Länder verhängt. Internationales Recht legen sie sehr selektiv au...

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