Ukraine: Tödlicher Raketeneinschlag in Polen (Servus TV I 16.11.2022)

1 year ago
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Es war erschreckend, beängstigend, wie schnell nach dem Raketeneinschlag in Polen von Eskalation, »Bündnisfall« und drittem Weltkrieg die Rede war – obwohl keiner richtig wusste, was eigentlich passiert war. Dem Chefredakteur der auflagenstärksten deutschen Zeitung, »Bild«, genügten die ersten Meldungen, um einen aggressiven Kommentar zu veröffentlichen: »Putin spielt mit dem Weltkrieg«, schrieb Johannes Boie 

. »Die russische Armee hat Polen bombardiert«, behauptete er mit Bezug auf einen anonymen US-Geheimdienstmitarbeiter. Und er urteilte weiter: »Ob Versehen oder nicht: Dies ist ein bewaffneter Angriff auf Nato-Territorium.« Es las sich, als befände sich der »Bild«-Chefredakteur im Feldzug gen Osten. Nun könnte man zynisch sagen: Wenn man als »Bild«-Chef schon keinen Verdienstorden von der ukrainischen Regierung bekommt wie der Kollege und Stellvertreter Paul Ronzheimer, muss man wohl wenigstens einen bombigen Kommentar hinlegen.

Dabei war am Dienstagabend die Lage alles andere als klar. Russland hatte nicht Polen »bombardiert«, zwei Raketen russischer Machart waren in einem polnischen Dorf eingeschlagen, dabei starben zwei Menschen. Das hätte man durch eine schnelle Google-Recherche herausfinden können. Doch in der Debatte um den Krieg geht es offenbar immer weniger um Fakten, Aufklärung, Information, sondern um eine extrem verstandene Solidarität, die zu Blindheit und gefährlicher Zündelei führt. Nach dem Motto: Warum sollte man sich den klaren Blick durch Sachkenntnis trüben lassen?

Inzwischen hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg klargestellt, dass der Vorfall mit größter Wahrscheinlichkeit von einer ukrainischen Abwehrrakete ausgelöst wurde. Sie wurde abgeschossen, um sich gegen die russischen Angriffe zu verteidigen. Es sei ein Unfall gewesen, die Ukraine träfe keine Schuld. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Russen einen Angriff auf Nato-Gebiet vorbereiten .

Vorher hatten sich da schon viele Medien, aber auch Experten aus Politik und Forschung, ähnlich schnell festgelegt wie der »Bild«-Chef. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie Strack-Zimmermann (FDP), schrieb am Dienstagabend auf Twitter : »Nicht nur haben russische Raketen offenbar Polen und damit Nato-Gebiet getroffen, sondern auch zu Toten geführt. Das ist das Russland, mit dem hier einige offenkundig und absurderweise immer noch ‚verhandeln‘ wollen. Der Kreml und seine Insassen müssen sich erklären.« Sie hat den Tweet inzwischen gelöscht.

Es scheint unter deutschen Experten fast so etwas wie einen Überbietungswettbewerb zu geben, wer schneller die Positionen der ukrainischen Regierung übernimmt. Denn es war ja der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selenskyj, der den Raketeneinschlag sofort schnell nutzte, um mehr westliche Unterstützung zu mobilisieren. Selenskyj hatte sich bereits am Dienstagabend festgelegt und von einem russischen Angriff auf Polen gesprochen . Wie oft habe die Ukraine schon gesagt, dass der terroristische Staat sich nicht auf sein Land beschränken würde. »Die Nato muss auf diesen gezielten Angriff Russlands in Polen mit sehr schmerzhaften Konsequenzen reagieren«, erklärte Andrij Melnyk, der ehemalige Botschafter in Deutschland und neue Vize-Außenminister.

Die westlichen Verbündeten auf Basis von Gerüchten und Falschinformationen in den Krieg hineinziehen zu wollen, ist alles andere als verantwortlich. Man muss Präsident Joe Biden dankbar sein, der der These vom russischen Angriff widersprach und das Krisenmanagement von Bali aus übernahm.

Das Agieren der Regierung in Kiew kann man noch mit dem Druck und den verschärften Luftangriffen Russlands erklären, aber warum müssen sich deutsche Parlamentarier, Medien und Experten zum Sprachrohr der ukrainischen Propaganda machen? Wollen sie auch einen Orden dafür, weil sie endlich mal auf der richtigen Seite stehen? Passiert ja nicht allzu häufig in der deutschen Geschichte.

Servus TV I 16.11.2022

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